Kapitel 25: Die Hohepriesterin

04.04.2017 00:11

Ein dumpfes Brennen raste durch Stoneys Körper.  Er krümmte sich, zögerte die Augen zu öffnen. Sein Verstand weigerte sich sehen zu müssen, was er nicht sehen wollte. Dieses gierige Schlangenmaul hatte sich in seine Gedanken eingebrannt, angsteinflößend aufgerissen, groß und größer werdend. Das tödliche Grau der Zähne hatte ihm das Blut gefrieren lassen. In Schockstarre war er in völlige Dunkelheit gefallen. Fahles Licht drang durch seine geschlossenen Augenlider.

Er richtete sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen auf und zwang sich die Augen zu öffnen. Kaltes Licht, dass die Umgebung mehr in Schatten tauchte als es sie erhellte, ließ ihn eine große Halle erahnen. Vor sich sah er zwei reglose Körper auf den kalten Steinplatten des Hallenbodens liegen. Seine Augen gewöhnten sich an das sonderbare Licht und die scharfen Schatten die es zeichnete. Warrix lag da vor ihm, hüllte eine kleine Gestalt vor sich ein. Miniela. Fast tonlos rief er Warrix. Seine Stimme hörte sich fremd und wie weit entfernt an. 

Warrix schnellte auf, blieb in dieser Bewegung mit einem unterdrückten Schmerzenslaut stecken. Warrix lebt. Ein Gefühl von Freude stieg in Stoney auf und die Schatten um ihn wurden etwas weniger scharf und unheimlich. Warrix brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sein Verstand erfasste, was geschehen war.  Er legte seine Hand schützend auf die vor sich liegende, zusammengekrümmt kleine Zwergin und drehte seinen Kopf mit einiger Anstrengung nach hinten. Stoney war hier. Und Warrix konnte das leicht schelmische und gutmütige Blinzeln in dessen Augen erkennen. Ein Gefühl von Zuversicht stieg in ihm auf, machte sich breit, durchströmte wohltuend seinen Körper. Er zwinkerte Stoney zu und knackte, langsam zu alter Stärke erwachend, mit den Handgelenken. 

„Netter Ausflug Stoney, nur … wir haben den Picknickkorb vergessen“. Stoney grinste zurück.
Ein schrilles durchdringendes Zischen ließ ihre Köpfe in diesem Moment herumschnellen. Mit vor Schreck weit geöffneten Augen sahen sie, wie sich vor ihnen eine hohe Gestalt wie aus dem Nichts materialisierte. Die Gestalt einer hochgewachsenen, übermenschlich großen Frau, die mehr aus bläulich violettem Licht zu bestehen schien als aus irgendetwas greifbarem von dieser Welt.  Sie schien vor ihnen zu schweben, das Licht um sie pulsierte und versetzte ihren Körper in schlängelnde Bewegungen.


Ihr seit dem Ruf der Hohenpriesterin gefolgt“.

Die Worte zischten aus ihren schmalen, verkniffenen Lippen. Der kalte Blick aus ihre schwarzen Augen jagte ihnen ein Frösteln durch den Körper. Doch sie hingen wie hypnotisiert an diesen Augen, die wie Fremdkörper in dem aschfahlen flachen Gesicht ohne Augenhöhlen wirkten. Die Gestalt hob langsam ihren Arm und streckte eine riesige Klaue nach vorn, ein überlanger dünner Finger zeigte auf die am Boden liegende Zwergin. „Sie ist meinem Ruf gefolgt“. Die Klaue richtete sich nun langsam auf Stoney und Warrix, der Finger streckte sich bedrohlich und das violette Licht zeichnete sich auf der Stirn des vorn kauernden Warrix ab.

Folgt auch ihr eurer Hohenpriesterin oder seid dem Tod geweiht“.


Mit einer pulsierenden Bewegung ihrer Klaue hob sich der Körper der kleinen Zwergin über den Hallenboden und glitt langsam schwebend auf die Hohepriesterin zu. Warrix stieß einen erstickten Schrei aus und griff nach Miniela, hielt sie fest. Der wie eine Waffe auf seine Stirn gerichtete Finger sandte gleißend violettes Licht aus und er musste die Augen schließen um nicht zu erblinden. Miniela hielt er mit ganzer Kraft entschlossen fest.  Das Licht in Gestalt der Hohepriesterin pulsierte schneller, wurde zu gleißendem Purpur und explodierte hinter Warrix geschlossenen Augenlidern.

Stoney, der wie in Schockstarre gefangen alles aus etwas größerer Entfernung wahrnahm, sah, wie sich die Gestalt vor ihnen änderte. Um den Hals der Hohepriesterin wuchsen Schlangen hervor, die größer wurden und sich wie zum tödlichen Biss steil aufrichteten. Stoney fasste seinen Magierstab fester und schleuderte einen Feuerball in Richtung der Hohepriesterin. Die Hohepriesterin stieß ein schrilles Lachen hervor, ihre Gestalt fiel mit einer Explosion aus Licht in sich zusammen.

Die plötzliche Dunkelheit war unerträglich schwarz und blendete fast noch mehr. „Ihr verweigert mir den Gehorsam. So sterbt!“. Stoney‘s Kopf fuhr in Richtung der Stimmer herum. Das violette Licht in Gestalt der Hohepriesterin war an der Stirnseite der Hallen wie aus dem Nichts aufgeflammt und warf scharfe, überdimensional große Schatten an die Hallenwand. Schatten in Form sich riesiger windender Schlagen. Die Rachen weit aufgerissen und die tödlichen Fangzähne entblößt, bissen die Schlangenköpfe nach ihnen. Bläulich violetter Nebel, der ein unheimliches und beängstigendes Licht ausstrahlte, stieg vom Hallenboden um sie herum auf. Warrix zog mit einem Aufschrei sein Bein zurück, der Nebel hatte an seinem Stiefel geleckt.


Sterbt!“

Das Zischen dieses Wortes kam von überall. Stoney riss die Augen schreckensweit auf, als er gewahr wurde, dass die hoch aufgerichtete Hohepriesterin auch rechts von ihnen erschienen war. Und hinter ihnen. „Oh mein Gott“ presste er hervor. An den Wänden der Halle zeichneten sich rings um sie scharf die Schatten der sich windenden Schlangen ab, die ihre Fangzähne nach ihnen stießen. Die Hohepriesterin hob ihre Klaue und eine leuchtend violette Kugel formte sich zwischen ihren langen dünnen Fingern. Die Schlangen ringsum richteten sich steil auf, die Leiber zum Biss aufs Äußerste gespannt. Die Kugel aus reinem Andermacht schwebte auf sie zu. Und zwei weitere Kugeln, von den anderen Hohepriesterinnen zum Töten geformt, bewegten sich auf sie zu.
Die Hohepriesterinnen richteten im selben Moment ihre Klauen auf sie, es schien, sie würden den Weg der tödlichen Kugeln lenken. Warrix duckte sich und lenkte die erste Kugel mit seinem Schild ab, flüssiges Metall tropfte vom getroffenen Schild zischend auf den Hallenboden. Er bedeckte mit seinem Körper schützend Miniela und die Kugel schwebt an ihnen vorbei.

Stoney schleuderte den anderen Kugeln Blitze entgegen und warf sich dann flach auf den Boden. Vielleicht war das seine Rettung, denn die Kugeln verfehlten ihn nur um Haaresbreite und schwebten mit einem die Luft elektrisierenden Knistern über ihn hinweg. Die Hohepriesterinnen bäumten sich auf und in ihren Klauen, die jetzt ein purpurnes unerträgliches Licht ausstrahlten, formten sich neue tödliche Kugeln.


Ein durchdringender schriller Schrei klang durch die Halle und wurde als Echo von den Hallenwänden zurückgeworfen. Ein blauer Vogel schwebte majestätisch über sie hinweg, sie konnten das Rauschen seiner Flügel hören und den Luftzug spüren. Es war der Phönix, den Vio in den Perlmuttsaal gebracht hatte. Der Vogel flog mit steil aufgestellten Schwingen auf eine der Hohepriesterinnen zu, seine Flügel schlugen nach den sich um ihren Hals windenden Schlangen. Er umkreiste die Gestalt und das Zischen der Schlangen, die nach ihm schnappten, das Klatschen der Flügel auf den Schlangenleibern war deutlich zu hören. Das pulsierende Leuchten der Priesterin nahm zu und änderte die Farbe jetzt in schnellen unregelmäßigen Abständen.


Warrix sah aus den Augenwinkeln, wie die Klaue einer der anderen Priesterinnen reglos nach vorn gestreckt war, eine tödliche Kugel aus Andermacht darin, fertig geformt. Die Priesterin drehte ihren schlängelnden Körper langsam in Richtung des Vogels. Die Kugel setzte sich in Bewegung, den Vogel zu töten. Eine weitere Kugel schwebte von der anderen Hallenseite auf den Vogel zu, der den Schlangen am Hals der Hohepriesterin mit seinen Flügeln die Sicht nahm und mit seinem spitzen Schnabel nach den Schlangenaugen hackte. Ein schriller Schrei explodierte schmerzhaft und markerschütternd in ihren Ohren. Die Kugeln aus Andermacht, geformt um zu töten, hatten ihr Ziel erreicht. Sie taten ihr Werk. Sie töteten. Sie töteten den Phönix, der brennend in einem Feuerregen zerbarst. Sie töteten die Schlangen, welche die aus Andermacht geschaffenen Spiegelbilder der Hohepriesterin lenkten. Sie töteten die Hohepriesterin und mit ihr den Ort, an dem sie gefangen und dem Tode geweiht waren.



Gleißendes Licht blendete Stoney. Er kniff zuckend die Augen zusammen. Warmes Licht. Und Stimmen waren zu hören. Menschliche Stimmen. Viele Stimmen. Warrix legte seine Hand auf die Wange der kleinen Zwergin. Der sanfte Druck seiner warmen Hand und eine freundliche männliche Stimme brachten sie ins Leben zurück.

 

„Mein Name ist Ammon. Willkommen in Cardhun, dem Vorhof der Tapferen zur Parallelwelt.“ Ammon beugte sich zu der auf dem Boden liegenden Zwergin herunter. Sonnenstrahlen zeichneten Muster auf den Boden. „Willkommen zurück im Leben Miniela. Kann ich etwas für dich tun ?“

Miniela richtete sich leicht auf, streckte sich und sagte ganz leise:  „Durscht“.