Kapitel 23: Das Tor in eine neue Welt

29.12.2016 14:01

 

Angstvolle lähmende Stille hatte sich über das Perlenriff gelegt. Nur das nervöse Scharren von Füßen war aus dem Perlmuttsaal zu hören, wo die letzten Vorbereitungen für den Säuberungszauber der kleinen Zwergin Miniela getroffen wurden. Soeben war Drasanx wieder eingetroffen, der auf Geheiß der Magier geriebenes Horn eines Drachenbeserkers von einem Händler erstanden hatte.

Miniela lag wie aufgebahrt auf der eichernen Tafel im Perlmuttsaal. Nichts erinnerte an das heitere Geschepper der Methumpen und Trinkhörner so einiger durchfeierter Nächte, das grölende und ansteckende Lachen von Kamikazezwerg, das selbst den Trunkendsten aus dem Metrausch erweckt. Selbst das Licht der lodernden Fackeln, das von den schimmernden Wänden zurückgeworfen wurde, war kalt und konnte das Düstere im Saal nicht vertreiben.

Stoney hob die Hand um Warrix, der Minielas Kopf in seinem Arm hielt, zu bedeuten er möge sich während des Rituals entfernen. Aber bevor er zu sprechen ansetzte verstummte er wieder und ließ den Arm sinken. Kein Zauberer oder Magie wären mächtig genug um Warrix jetzt von der Seite der kleinen Zwergin zu trennen. Er konnte sich nicht erinnern, dass der Krieger diesen Platz bei Miniela überhaupt jemals verlassen hatte.

Die Magier bildeten einen Ritualkreis um Miniela, ein tonloses Gemurmel setzte ein und schwoll zu einem durchdringenden Raunen an. Abrupt verstummte jedes Geräusch, als Didhero blitzschnell zur Seite sprang und die verdutzte Vio hinter einer Säule hervorzog. Sie überließ sie der Obhut von Drasanx, der Vio mit Nachdruck aus dem Saal brachte. „Ich traue ihr nicht, immer weniger“, sagte Did leise zu Stoney.

Das Raunen nahm wieder an Stärke zu, die versammelten Magier schlossen den Kreis um die bewegungslose Miniela und den vor ihr kauernden Warrix immer enger. Did salbte die bleiche kalte Stirn der kleinen Zwergin mit einem bläulich schimmernden Elexier ein, das die Kraft der Magie und die Verbindung zum mit dem Bösen ringenden Geist der Zwergin verstärken sollte. Stoney runzelte die Stirn. Er fühlte wie ihnen Minielas Geist und auch ihr Lebenswillen immer mehr entglitt. Saabia kam eilig die Treppen zum Saal herauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Sie blickte in die ratlosen Gesichter der Magier und das letzte Fünkchen Zuversicht in ihr erlosch.

Warrix richtete sich leicht auf und murmelte „der Stein, zerstört den Stein der ihr Verderbnis brachte“. Er starrte in Minielas lebloses Gesicht und eine Kriegerträne bahnte sich ihren Weg. Er fühlte unendlichen Schmerz und eine unbändige Energie durchströmte ihn zugleich. Er umschloss den Griff seiner Axt so fest, dass die Gelenke seiner Hand knackten. Nur diese lähmende Hilflosigkeit, den Feind nicht zu sehen und zertrümmern zu können, hinderte ihn daran aufzuspringen und dagegen zu kämpfen, egal was oder wer es ist.

Saabia und Stoney waren zum Gemach der Zwergin geeilt um nach dem Stein zu suchen, von dem Warrix gesprochen hatte. Sie fanden ihn schnell und Stoney erkannte schon an dem violetten Funkeln die darin verborgene zerstörerische Energie der Andermacht.  Er nahm den Stein ohne ihn zu berühren mit Hilfe eines kleinen silbernen Gefäßes auf und sie eilten damit in Richtung Perlmuttsaal zurück. Die versammelten Magier öffneten den Kreis für Stoney, der das Gefäß mit dem Stein fast ehrfurchtsvoll vor sich hielt und zu ihnen trat. Alle Augen waren auf den Stein und das pulsierende Licht gerichtet.

In diesem Moment ging etwas vor sich, etwas wie Elektrizität lag in der Luft und die brennenden Fackeln im Saal strahlten dunkles angsteinflößendes Licht aus. Der Körper der kleinen Miniela bäumte sich auf, ihre Lippen bissen schmerzerfüllt aufeinander und wurden ganz schmal. Die Luft um sie herum begann zu knistern und unheimlich zu leuchten, sie schien eine unbestimmte wabernde Form anzunehmen. Warrix hielt die sich nun mit leisem Wimmern windende Miniela fester, die Augen schreckensweit geöffnet. Saabia stieß einen lautlosen Schrei aus, sie erkannte als erste, was sich da zwischen Ihnen materialisierte.

Es war ein Tor, ein geöffnetes Tor. Schwarzes Licht drang aus seinem Inneren, so dunkel dass es fast blendete. Seine Form schien der geöffnete Rachen einer Schlange zu sein, kurz vor dem tödlichen Biss. Und dieser Rachen wurde bedrohlich größer, wurde zu einem schwarzen alles verschlingenden Schlund. Die Umstehenden waren in Schockstarre gefangen. Sie sahen wie betäubt und zur Bewegungsunfähigkeit verdammt, wie die kleine Zwergin durch das sich gierig öffnende Tor eingesogen wurde. Der hinter ihr kauernde Warrix war bereits in der Schwärze des Schlundes verschwunden.

Ein seltsamer Laut ließ Saabia zusammenzucken. Sie drehte unter Schmerzen den Kopf und sah aus den Augenwinkeln, dass Vio wie ein Schatten heraneilte, etwas Großes vor sich auf ihrem Arm. Sie schwang ihren Arm und mit einem kräftigen Schwung breitete ein Vogel seine Schwingen majestätisch aus und ein blauer Phönix stieg auf und mit einem einzigen Flügelschlag war er in der Schwärze verschwunden. Mit einem lauten Krachen fiel das Tor ins Schloss und in sich zusammen. Die flackernden Fackeln um sie herum zeichneten warme helle Muster auf den Boden des Saales.

Wie benommen standen sie, das Gesehene zu verarbeiten. Darauf waren sie nicht vorbereitet. Saabia warf mit einem Schütteln ihre Schockstarre ab, ihre Hand suchte neben sich nach Stoney.
Aber sie griff ins Leere.